Texte:

Baba Jaga

Immer der Sonne nach


Nicht alle kennen es, und es ist trotzdem schön – das alte russische Volksmärchen von der Hexe Baba Jaga. Diese wohnt, so wird erzählt, in einem drehbaren Haus, das auf drei Hühnerbeinen steht. Einer der es mit Sicherheit nicht kennt ist Ernst Oßwald, Maurermeister und Bautechniker aus Bissingen, der sich in Reimlingen im Kreis Donau-Ries zwar ein drehbares Haus baute, aber eben nicht auf den Mechanismus mit den Hühnerbeinen setze, sondern viel mehr 960 Stahlkugeln vertraut, auf denen sich sein Haus dreht.

Doch beginnen wir von unten. Ob man es glauben will oder nicht: Das Haus ist voll unterkellert. Auf der ganz normalen Kellerdecke brachte der Erfinder einen Ring aus Hohlprofilträgern an, auf dem 960 Stahlkugeln von jeweils drei Zentimetern Durchmesser auf einer Schiene laufen. Auf diesen Kugeln kann sich die runde Stahlplattform drehen, auf der das 250 Tonnen schwere Haus steht. An der Belastbarkeitsgrenze seines „Kugellagers“ ist Ernst Oßwald damit noch lange nicht angekommen. 3.000 Tonnen könnte es tragen, dann brauchte es aber eine andere Kellerdecke.

In der Mitte der Fundamentplatte ist eine kreisrunde zwei Meter breite Öffnung freigelassen, durch die eine mit dem Haus verbundene Wendeltreppe nach unten führt. Flexible Versorgungsleitungen sind in der Plattform eingelagert, auf der sich das Haus dreht. Damit diese aber nach mehreren Drehungen nicht doch wie ein Korkenzieher gewendelt sind und die Belastung nicht mehr aushalten, kann man das Haus nicht komplett drehen, sondern „nur“ um 240°. Das reicht aber allemal für eine optimale Stellung zur Sonne, so, wie es uns die Sonnenblumen vormachen.

Wofür es nicht reicht? In einem Vergnügungspark kann man das Haus nicht als Attraktion einsetzen. Zwischen zweieinhalb und neun Stunden, je nach Einstellung der Schaltuhr, dauert eine Drehung. Dies genügt, um dem Lauf der Sonne zu folgen, oder wenn es im Sommer doch einmal zu heiß wird, die Glasfronten einfach in den Schatten zu drehen.

Dank der niedrigen Bauhöhe der Plattform waren für den Kanalanschluss keine zusätzlichen Konstruktionen nötig. Und auch beim Bau dürfte die Plattform wenig Probleme bereiten. Sie wiegt neun Tonnen und wird einfach mit dem Baustellenkran auf die Kellerdecke gehoben. Selbst Hanglagen hält Ernst Oßwald mit seinem drehbaren Haus für bebaubar, und auf Wunsch ist es natürlich möglich, die Terrasse so einzubinden, dass sie gleich mitgedreht wird.

Nun mag mancher meinen: Das ist zwar interessant, aber ich will auf jeden Fall massiv bauen. Kann er ja! Ernst Oßwald hat es auch getan. Das ganze Haus von immerhin 10,5 x 9,5 Metern ist aus Ytong-Planblöcken von 36,5 Zentimetern Stärke gemauert, und damit kommt es bereits auf einen k-Wert von 0,28 W/m2K. Mit seinen 80 Millimeter Außendämmputz erreicht es sogar 0,18.

Kommen wir zur finanziellen und ökologischen Sicht auf das beim Patentamt als Gebrauchsmuster eingetragene Haus. Neben der durch den Drehmechanismus deutlich verbesserten passiven Solarenergiegewinnung laufen natürlich auch die Sonnenkollektoren auf dem Dach mit einem erheblich höherem Wirkungsgrad. Außerdem ist noch eine Wärmerückgewinnungsanlage eingebaut, die zusätzlich hilft, Energie zu sparen. Der gesamte Drehmechanismus kostet 20.000 Mark. Das hört sich gewaltig an. Aber nach Berechnungen des Erfinders hat er sich bereits nach zwölf Jahren amortisiert, weil er auf Energiekosten von weniger als 500 Mark im Jahr kommt. Der Antrieb für den Drehmechanismus kommt von zwei kleinen Motoren mit jeweils 0,5 PS Leistung. Sie verbrauchen über das Jahr gerechnet weniger als eine Waschmaschine und sind nicht zu hören. Das sind übrigens auch die einzigen Bauteile, die einer Wartung bedürfen.

Ein Problem sieht Ernst Oßwald, wenn der Hausbesitzer am Abend in der Gaststätte oder bei Freunden ein wenig zu tief in das Glas geschaut hat. Dann könne es schon mal passieren, dass er die Haustür nicht findet. Ein zweites könnte auftauchen, wenn in einem Wohngebiet gebaut wurde, in dem die Ausrichtung des Firstes vorgeschrieben ist. Da hilft dann sicher nur etwas schneller zu drehen, wenn der Kontrolleur der Kommune am Horizont zu sehen ist. Aber diese wenigen Nachteile werden sicher durch den Vorteil wettgemacht, dass man das Haus mit gewissen Geschick auch als Sonnenuhr gebrauchen kann.

 

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