Texte:

Steine

Vom Bau einer Kirche,

die das Zentrum einer Stadt wird


Unter der Überschrift „Die Frauenkirche - geht denn das?“ berichteten wir 1995 über statische Probleme, die für den Wiederaufbau der Frauenkirche zu lösen waren. Nun, da der Bau in vollem Gange ist, standen wir mit dem im Dresdner Architektur- und Ingenieurbüro IPRO für dieses Projekt verantwortlichen Architekten Dipl.-Ing. Dr. Bernd Kluge und dem Architekten Dipl.-Ing. Christoph Frenzel aus der gleichen Arbeitsgruppe unter dem Wetterdach in 13 Metern Höhe auf den Gerüsten

Dieses Wetterschutzdach mit seinen Kränen, eine sächsische Entwicklung, verhindert derzeit den Blick auf die Baustelle, aber es macht den Winterbau überhaupt erst möglich. Der Kalk-Trass-Mörtel lässt sich nur bei Temperaturen von über fünf Grad verarbeiten, benötigt nach dem Einbringen eine Aushärtezeit von bis zu 70 Tagen. Bei einer in diesem Winter erreichten Bauleistung von neun Millionen Mark rechnet sich die Stahlkonstruktion mit Kranbahnen und Einträgerbrückenkranen, die - auch im Verbund - äußerst präzis arbeiten und ein millimetergenaues Versetzen der Steine gestatten. Im Sommer werden die 270 Tonnen des Daches und der Kräne wieder um 10,5 Meter angehoben.

Deutlich sind im Inneren der Kirche bereits die acht Pfeiler und die stützenden Mauerscheiben zu sehen, von George Bähr Spiramen genannt, die eine Last von 15.000 Tonnen sicher auf die Fundamente und in den Baugrund abtragen müssen. Das alte, und immer wieder diskutierte Problem, dass die Lasten der Kuppel seitlich abfließen und nicht senkrecht über die Pfeiler, ist gelöst. Die von George Bähr vorgesehenen schmiedeeisernen Verbindungsanker werden heute durch äußerst belastbare Stahlanker ersetzt.

Von den Maßen und der Genauigkeit

Das neue Pfeilermaterial ist hochfester Sandstein von der Weißen Bank bei Wehlen. Jeder Rohblock wird, bevor er zu Steinen geschnitten wird, technologisch auf Druck und Biegefestigkeit geprüft. Nach dem präzisen Zersägen der Blöcke beginnt die Arbeit der Steinmetze, und wenn diese einst beim Abtragen der Schichten des Steines immer genauer werden mussten, so ist heute das Gegenteil der Fall. Die Optik der technologisch einwandfreien Oberfläche muss per Hand gebrochen und damit dem Stein Leben eingehaucht werden. Mit Schlägel - in Sachsen dem Knüpfel - und dem Scharriereisen erhält der Stein Struktur. Schöpferische Ungenauigkeit ist gefragt, das muss man lernen. Fast ist es schade, dass der edle Stein später einen lasierenden Farbüberzug bekommt, aber im Barock kannte man keine Steinsichtigkeit im Inneren.

Auf Bleiplättchen in Fugenstärke wird der Stein trocken versetzt, mit zahlreichen Messpunkten auf Abweichungen überprüft und später mit dem Mörtel vergossen. Drei Millimeter Toleranz sind maximal zugelassen. 32 Schichten sind es bei jedem Pfeiler, der aus 258 Steinen unterschiedlicher Geometrie besteht.

George Bähr hat wie ein Raster über die ganze Kirche als Grundmaß die Dresdner Elle gelegt und mit diesem Maß gebaut. Allerdings: Diese Elle schwankte zwischen 52 und 56 Zentimetern, eine aus heutiger Sicht für Bauingenieure - und besonders Computer - unglaubliche Toleranz. Wohl auch deshalb stand die Kuppel der alten Kirche asymmetrisch 84 Zentimeter neben der Achse. Christoph Frenzel: „Was wir hier brauchen, ist das traditionelle Handwerk des Baumeisters, z.B. beim Bau der klassischen Gewölbebögen oder dem Schwalbenschwanzgewölbe über der Sakristei, und dies verbunden mit modernster Technologie, mit computergestützter Planung und Vermessung mittels Laser.“

Noch ein anderes Problem erfordert höchste Ingenieurbau- und Baumeisterkunst. Beim Einsturz der Kuppel haben die Steinmassen die noch stehenden Mauerteile, die das Bild der Ruine prägten, bis zu 30 Zentimetern nach außen gedrückt. Das wird erhalten, die Geschichte der Kirche bleibt sichtbar. Aber natürlich wird die Verbindung von altem und neuen Mauerwerk ein besonderes Problem.

Vom Gefühl für den Stein und den Computern

Rund die Hälfte der Steine stammen aus der alten Frauenkirche, und je höher das Bauwerk wächst, um so mehr können davon eingebaut werden, denn natürlich wurden die oben liegenden Steine beim Einsturz der Kuppel am wenigsten beschädigt.

Die alten Steinmetzzeichen geben Auskunft, wo der Stein eingemauert war, denn in den sächsischen Archiven ist sehr genau festgehalten, wann welcher Steinmetz geliefert hat und bezahlt wurde - ein Lob der Bürokratie. Daraus lassen sich nun wieder Schlüsse auf die Schicht ziehen, in der der Stein eingebaut war. Außerdem gibt die Lage im Trümmerberg darüber Auskunft.

20 Prozent der Kosten werden im Durchschnitt durch die Verwendung der alten Steine gespart. Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Wichtigste ist die Achtung vor der Handwerkskunst vergangener Jahrhunderte.

Eine, so Dr. Kluge, aus heutiger Sicht zu einfache Vorstellung wurde im Laufe der Bauarbeiten durch das Leben korrigiert. Anfangs war man der Auffassung, eine fotogrammetrische Dokumentation aller gefundenen Steine könnte die Grundlage für die Verwendung des alten Materials sein. Bis zu 190 Daten wurden je Stein gespeichert. Abgesehen von der kaum zu beherrschenden Datenflut hat sich inzwischen herausgestellt, dass diese Dokumentation zwar zum Erkennen der Steine tauglich ist. Kein Computer kann jedoch die Erfahrung eines Steinmetzmeisters aufbringen. Was nutzt es, wenn 190 korrekte Daten vorliegen, der Meister aber, nachdem er den Stein aufgebänkt hat, mit der Hand über den Stein streicht und fühlt, dass er in seinem Inneren unsichtbare Fehler hat. Heute ist es die Kombination der klassischen Handwerkskunst mit den Fähigkeiten des Computers und dem Können des Architekten, die zur Festlegung der Nutzung des Steins und seiner Lage führen.

Die Geschichten von Ochsenblut und Quark stimmen übrigens nicht. Es war ein Sumpfkalkmörtel, der von George Bähr verarbeitet wurde. Er ist im Laufe der Jahrhunderte so ausgehärtet, dass überlegt wird, große zusammenhängende Teile komplett wieder zu versetzen. Zur Zeit werden sie in einem Dauerversuch der Witterung ausgesetzt, werden die planerischen und die technologischen Probleme gelöst.

Von Logistik und Spenden

Acht bis zehn Kubikmeter Sandstein kommen täglich auf die Baustelle und werden versetzt - bis zum Jahr 2004. Das ist in hohem Maße ein logistisches Problem, denn außer der Koordination der Anlieferung der äußeren Werksteinschicht und der im Anschluss an ihr Versetzen dahinter gemauerten Grundmauerschicht, müssen auch die wieder verwandten alten Steine und die Steine mit technisch komplizierten Geometrien zum rechten Zeitpunkt auf die Baustelle kommen.

Seit Steinmetze im Jahr 1995 auf der Cottbuser Bundesgartenschau die Bearbeitung von fünf Steinen für die Frauenkirche der Öffentlichkeit demonstrierten, hat sich eine bundesweite Spendenbewegung der besonderen Art entwickelt. Die künftigen Gesellen oder Meister erhalten Rohsteine, die Schablone und die technischen Angaben für den Stein oder sie nehmen sich die Schablone selbst am Anschlußstück an der Frauenkirche ab. Sie erhalten eine Einweisung über Art und Richtung der Scharierung und bekommen natürlich den Stein. Diesen bearbeiten sie im Rahmen ihrer Gesellen- oder Meisterprüfung und liefern ihn dann nach Dresden zurück. Das erschwert die Logistik und spart Geld. Viel wichtiger ist aber, daß es ein Symbol der Verbundenheit des ganzen Landes mit dem Bauwerk ist.

350 Gesellen- und Meisterstücke aus ganz Deutschland sind bereits verbaut. Besonders wenn es um komplizierte Meisterstücke geht, verlangt dies von der IPRO einen langen Planungsvorlauf. Mit der heute bereits eingebauten und genutzten Eingangstür im Portal F, die Tischlermeister Thieme aus Leipzig spendete und als Referenzobjekt auf der Denkmal 96’ in Leipzig ausstellte, erhielt dies eine neue Dimension.

Stiftung Frauenkirche

Spendenkonto: Dresdener Bank AG in Dresden

Konto-Nr. 4 594 885 00, BLZ 850 800 00

Frauenkirche

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